Politik im Islam

Der Islam legte für die Politik ebenso wie für alle anderen Bereiche des menschlichen Lebens Grundsätze und allgemeine Anordnungen fest, die den Kern des islamischen Staats ausmachen sollen. Das islamische Gesetz (Schari’a) betrachtet den Herrscher im islamischen Staat als Verantwortlichen für die Ausführung der göttlichen Befehle, was ihm durch die Anwendung des Gesetzes auf die tatsächlichen, erlebten Rechtsangelegenheiten gelingt: Wünschen sie etwa die Urteilsnorm der Zeit der Unwissenheit? Wer hat denn eine bessere Urteilsnorm als Allah für Leute, die Gewissheit hegen.
(Qur´an 5:50)

Der Machthaber wird von der Ummah (Gesamtheit der Muslime) bevollmächtigt, folgendes zu tun:

  • Er muss sein Bestes dafür tun, dass die Muslime in Würde leben und dass ihre Religion, ihre Sicherheit, ihr Leben und ihr Vermögen geschützt werden. Der Prophet ( s) warnt die Herrscher davor, dass sie ihre Untertanen betrügen: ‚Wem Allah jemandem die Obhut über einem Volk gibt, der aber ihm nicht den entsprechenden Rat erteilt, dem wird der Geruch des Paradieses verwehrt.‛
    (Buchari. Bd. 6. S. 2614. Hadithnr. 6731)

  • Er darf keinen Beamten ernennen, der nicht dafür geeignet ist, Verantwortung zu tragen oder der nicht vertrauenswürdig ist. So darf er keinen Freund oder Verwandten aus Begünstigung oder Entgegenkommen als Beamten auswählen und ihn deshalb einem anderen kompetenten Mann vorziehen. Als Abu Bakr, der Wahrhaftige und der erste Kalif, Yazid Ibn Sufiyan nach Syrien schicken wollte, sagte er ihm: ‚O Yazid, du hast Verwandtschaft, die du vielleicht mit der Herrschaft begünstigen möchtest. Das ist das höchste, das mich um dich besorgt. Denn der Prophet ( s) sagte dazu: “Wer von den Herrschern der Muslime jemanden aus Entgegenkommen als Emir einsetzt, über dem ist Allahs Fluch, von dem nimmt Allah nichts Gutes an, bis Er ihn in die Hölle schmeißt.‛
    (Mustadrak. 4. S. 104. Hadithnr. 7024.)

    Was die politischen Anordnungen des Islam kennzeichnet:

    • Die göttliche Herkunft, d.h. sie wurden von Allah ( y), dem Erhabenen, bestimmt. Alle Menschen sind vor diesen Regelungen gleich: Herrscher und Beherrschte, Reiche wie Arme, vornehme wie einfache und weiße wie schwarze Menschen. So darf kein Mensch, so mächtig er sein mag, diesen Regelungen entgegenwirken, oder ein Gesetz erlassen, das gegen sie verstoßen kann. Ein Gläubiger oder eine Gläubige darf, wenn Allah und Sein Gesandter eine Angelegenheit entschieden haben, nicht die Möglichkeit haben, in ihrer Angelegenheit frei zu wählen. Und wer gegen Allah und Seinen Gesandten ungehorsam ist, der befindet sich in einem offenkundigen Irrtum.
      (Qur´an 33:36)

      Allah hat alle Muslime, Herrscher wie normale Menschen, dazu verpflichtet, gemäß diesen Anordnungen und Regelungen zu arbeiten, ihr Leben danach zu gestalten, sie anzuwenden und zu respektieren: Die Rede der Gläubigen, wenn sie zu Allah und Seinem Gesandten gerufen werden, damit er zwischen ihnen urteile, besteht darin, dass sie sagen: “Wir hören und wir gehorchen.’ Das sind die, denen es wohl ergeht.
      (Qur´an 24:51)

      Im Islam gibt es also keinen Absolutismus, selbst der Herrscher führt seine Autoritäten nur in Verbindung mit dem islamischen Gesetz durch. Wenn er dem Gesetz widerspricht oder entgegenwirkt, hat er keinen Anspruch auf Gehorsam gegenüber den Muslimen. Sie sind dann nicht mehr verpflichtet, seinen Anordnungen zu folgen. In diesem Sinne sagt der Prophet ( s): ‚Der Muslim ist gegenüber dem Herrscher zum Zuhören und Gehorsam in dem verpflichtet, was er liebt oder hasst. Nur wenn ihm befohlen wird, etwas zu machen, das gegen Allahs Gesetz steht, dann gibt es hier weder Zuhören noch Gehorsam.‛
      (Buchari. Bd. 3. S. 1469. Hadithnr. 1839.)

    • Die Beratung ist ein wesentlicher Bestandteil dieser politischen Ordnung. Sie ist die Achse, auf der das politische System im Islam beruht. Allah der Erhabene beschreibt die islamische Gemeinde folgendermaßen: ...Und die auf ihren Herrn hören und das Gebet verrichten, ihre Angelegenheiten durch Beratung regeln und von dem, was Wir ihnen beschert haben, spenden.
      (Qur´an 42:38)

      Ebenfalls spricht der Erhabene zu Seinem Gesandten, indem Er sagt: Es ist um der Barmherzigkeit Allahs willen, dass du ihnen [den Gläubigen] gegenüber umgänglich warst. Wärest du grob und hartherzig gewesen, wären sie rings um dich fortgelaufen. So verzeihe ihnen und bitte für sie um Vergebung und ziehe sie zu Rate in den Angelegenheiten.
      (Qur´an 3:159)


    • In Vers (42:38) hat der Erhabene die Beratung mit der Verrichtung des Gebets verknüpft, das die Hauptsäule des Islam ist, was die große Bedeutung der Beratung andeutet. So muss alles durch Beratung besprochen werden, was das Interesse der islamischen Gemeinde anbelangt. Besonders müssen diejenigen, die Einblick und Wissen besitzen, zu Rate gezogen werden. Am Ende dieses Verses lobt Allah

      Im Vers (3:159) verlangt Allah ( y) von Seinem Gesandten, der zugleich auch Herrscher der Muslime war, dass er die Gläubigen in den Angelegenheiten zu Rate ziehen soll, die im Interesse der ganzen Gemeinde stehen, und über welche es kein göttliches Urteil oder einen qur´anischen Text gibt. Was aber Allah ( y) in Seinem Buch entschieden hat, darüber gibt es keine Beratung. Abu Huraira berichtet vom Gesandten Allahs ( s): alle Gläubigen, weil sie die Beratung in allen Angelegenheiten vollziehen "Ich habe niemanden gesehen, der die Menschen so viel zu Rate zieht wie den Gesandten Allahs ( s)."

      Die muslimischen Gelehrten ordneten dementsprechend an, dass der Herrscher in allen Angelegenheiten, die das Interesse der Muslime betreffen, die Einsichtigen und die Experten um Beratung bittet. Wenn er das nicht tut, müssen die Muslime von ihm verlangen, dass die Meinung der islamischen Gemeinde, gemäß den beiden vorigen Versen, erfragt werden muss. Denn der Herrscher wird im Islam, wie schon erwähnt, als ein Bevollmächtigter betrachtet, der diese Vollmacht nur in den Bereichen anwendet, die der Bevollmächtigende nennt. Auf der anderen Seite muss die islamische Gemeinde kontrollieren, ob der Herrscher die islamischen Anordnungen der Schari’a in den verschiedenen Angelegenheiten beachtet oder nicht.

      Der Islam garantiert jedem Einzelnen, sich zu den Angelegenheiten der Muslime in irgendeiner Weise zu äußern und in voller Freiheit Kritik zu üben, vorausgesetzt, dass er im Rahmen des islamischen Gesetzes spricht, ohne Zwietracht oder Spaltung der Muslime zu beabsichtigen.

      Der Prophet ( s) sagt in dieser Hinsicht: ‚Das beste Dschihad besteht darin, ein gerechtes Wort bei einem ungerechten Herrscher zu sagen.‛
      (Al-Mustadrak. Bd.: 4. S. 551. Hadithnr. 8543.)


    Schon bei den ersten Kalifen herrschte dieses Prinzip der Beratung am besten vor. Der erste Kalif, Abu Bakr ( d), sagte in voller Offenheit:
    „O Leute, ich habe die Herrschaft über euch übernommen. Und ich bin nicht der beste unter euch. Wenn ihr seht, dass ich Rechtes tue, so unterstützt mich. Wenn ihr aber seht, dass ich Unrecht begehe, so verbessert mich. Gehorcht mir, solange ich Allah ( y) gehorche. Wenn ich aber Allah ( y) ungehorsam bin, so gehorcht ihr mir auch nicht.‚

    Etwas Ähnliches tat auch Omar Ibn Al-Khattab ( d), der zweite Kalif, der eines Tages an der Kanzel eine Rede hielt, in der er sagte: „Oh ihr Menschen, wenn ihr an mir eine Abweichung vom Rechten bemerkt, so haltet mich gerade.‚ Da stand ein Nomade und sagte: „Bei Allah ( y), wenn wir an dir so etwas feststellen, werden wir es mit unseren Schwertern gerade halten.‚ Omar ( d) ärgerte sich nicht über den Mann, auch trug er keinen Hass deswegen gegen ihn, vielmehr hob er seine Hände dankend hoch ´gen Himmel und sagte: „Gepriesen sei Allah, Der in meiner Gemeinde Menschen schuf, die meine Fehler korrigieren sollen.“

    Der Herrscher muss auch vom Volk gefragt werden und mit ihm muss die Gemeinde abrechnen. Omar ( d) hielt wieder einmal eine Rede und an diesem Tag trug er zwei Gewänder. Da empfahl er den Menschen, Gehorsam zu zeigen.

    Ein Mann erhob sich und sagte: "Du hast keinen Anspruch auf Zuhören oder Gehorsam, bevor du uns erklärst, woher du die beiden Gewänder hast, obwohl jeder von uns nur ein Gewand trägt." – Dies war so, weil Omar ( d) für jeden Muslim nur ein Gewand bestimmte. Da rief Omar sehr laut seinen Sohn Abdullah auf: "O Abdullah, erkläre ihnen die Sache!" Da sagte Abdullah Ibn Omar: "Ich habe meinem Vater meinen Anteil, mein Gewand, gegeben, da er ein großer langer Mann ist, dem ein Gewand nicht ausreicht." Da sagte der Beduine: „Jetzt hören wir zu und gehorchen.“

    Derart schützt der Islam die Rechte der Menschen, ihre allgemeine und persönliche Freiheit und hält die Quellen des Gesetzes von eigenen Neigungen fern, welche die menschlichen Gesetzgeber befallen, die von Natur aus Fehler machen. Die Gesetze der Menschen werden meistens durch persönliche, regionale oder zeitliche Erwägungen beeinflusst.

    Viele Angelegenheiten hat der Islam den Menschen selbst überlassen, denn diese unterliegen zeitlichen und örtlichen Veränderungen. Der Islam behandelt diese Angelegenheiten nicht im Detail, sondern er stellt dafür allgemeine Regeln auf. Somit will der Islam den Muslimen die Tür offen halten, damit sie die Vorschriften und die Bestimmungen festlegen können, die ihren lokalen und temporalen Verhältnissen und Interessen entsprechen. Die entscheidende Regel in diesem Zusammenhang ist, dass diese menschlichen Bemühungen und Regelungen keinen Verstoß gegen die konstanten Gesetze des Islam darstellen.